Kirche der Zukunft - Kirche mit Zukunft?

Rund 360.000 Menschen sind 2021 aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten – so viele wie nie in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Kirche sieht sich angesichts von sexualisierter Gewalt, Fragen nach Ungerechtigkeit in Bezug auf die Beteiligung von Frauen an Ämtern sowie des Umgangs mit nicht-heteronormativ orientierten Menschen, großen finanziellen Herausforderungen sowie der Frage nach Autorität und Macht und deren Missbrauch herausgefordert, sich in Richtung menschenrechtlicher und demokratischer Prinzipien neu zu orientieren. Andererseits gibt es auch ein hohes Engagement von Kirche in den Bereichen Flüchtlingsarbeit, Nachhaltigkeit, Umwelt- und Friedensentwicklung. Genau diese Ambivalenz nahm der Studientag zum Thema „Kirche der Zukunft – Kirche mit Zukunft?“ facettenreich in den Blick, den das Institut für Katholische Theologie der Universität Koblenz-Landau (Campus Landau) in Kooperation mit dem Mentorat des Bistums Speyer am 29. Juni 2022 veranstaltete. Das zugehörige Plakat wurde von Schüler*innen der MSS11 des Goethe-Gymnasiums Germersheim gestaltet.

An verschiedenen Thementischen konnten sich die Teilnehmer*innen mit den Themen

  • Autorität / Autoritätshörigkeit in der Kirche!? – geleitet von Dekan Pfarrer Dr. Axel Brecht
  • Menschenrechte und Demokratie in der Kirche?! – geleitet von Dr. Rudolf Walter
  • Sexualisierte Gewalt im Raum der Kirche aufarbeiten – geleitet von PD Dr. Katharina Peetz
  • Gleiche Rechte für alle in der Kirche – nicht nur für Männer! – geleitet von Katharina Goldinger
  • Nachhaltigkeit – Engagement der Kirche – geleitet von Bernd Schumacher
  • #OutInChurch – Queere Menschen in der Kirche – geleitet von Raphaela Soden
  • Gerechtigkeit und Frieden: Utopie und Wirklichkeit – geleitet von Martin Buschermöhle
  • Was verlieren wir ohne Kirche? Jugend-bewegte Perspektiven – interaktiver Thementisch

auseinandersetzen.

Das Interesse war groß, und so widmeten sich rund 100 Schüler*innen und Studierende den brennenden Fragen der Kirche unserer Zeit. Die angeregten Gespräche und mitunter emotionalen Diskussionen wurden in einer abschließenden Podiumsdiskussion zusammengefasst und reflektiert. Gemäß der theologischen Aussage des 2. Vatikanischen Konzils, dass Kirche als Volk Gottes gemeinsam auf dem Weg ist und auf das Engagement all ihrer Mitglieder angewiesen ist, wir also alle Kirche sind, gaben die Referent*innen Zeugnis von der Hoffnung, die sie trägt und äußerten ihre Überlegungen zu notwendigen Transformationen in der Kirche. Dabei fragte Rudolf Walter, ob sich Kirche nicht in einer existentiellen Krise befinde, da die Institution ihre Glaubwürdigkeit zum größten Teil eingebüßt habe. Er plädierte für eine Transformation in Richtung ständig synodaler Kirche, um damit Menschen in ihrer ganzen Diversität Raum und Stimme geben zu können. Martin Buschermöhle betonte die dringliche Notwendigkeit von Gerechtigkeit und Frieden, die er als Aufgabe nicht nur der Institution Kirche, sondern vor allem auch der Theologie sah. Raphaela Soden plädierte angesichts einschlägiger Erfahrungen von Transfeindlichkeit, der Diskriminierung von queeren Lebenswelten aber auch von Ableismus für eine „Detox-Kur“ der Kirche. Dabei ging es vor allem darum, Kirche von angstmachendem theologischem Denken, Strukturen und Verhaltensweisen frei zu machen – gemäß der zentralen Botschaft „Fürchtet euch nicht“ eines befreienden und frei machenden Gottes. Für Katharina Goldinger reicht es nicht aus, wenn Bischöfe sich bereit erklären, Räume für das Engagement von Lai*innen zu öffnen, es brauche auch deren aktive Selbstermächtigung. Axel Brecht motivierte die anwesenden jungen Menschen dazu, Mut zu haben, sich zu engagieren, Zeugnis für das Evangelium abzulegen und die Kirche der Zukunft mit einer respekt- und verantwortungsvollen Haltung zu gestalten.

Die Teilnehmer*innen begründeten ihre Hoffnung auf eine mögliche Transformation und ihren Willen, dabei zu bleiben, mehrheitlich mit prägenden positiven Sozialisationserfahrungen innerhalb der Kirche. Dabei sind sie angespornt von einer tiefen Sehnsucht, dass sich das Reich Gottes auch im Hier und Jetzt schon gestalten lässt in Richtung von mehr Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität und weniger Angst. Deutlich wurde auch, dass erfahrene Diskriminierung nicht dazu führt, die Kirche zu verlassen, sondern dazu anspornt, sich zu engagieren, damit Dinge sich ändern. Raphaela Soden wolle es nicht anderen überlassen, zu bestimmen, was katholisch sei und dass Raphaela sich nicht vertreiben lassen wolle. Kirche hat für Raphaela mit den gemeinsamen Lebensmöglichkeiten aller zu tun, mit Teilhabe und Teilgabe. Axel Brecht betonte den Gemeinschaftscharakter von Kirche, in der Menschen immer wieder die Möglichkeit finden würden, Räume zu öffnen und Glauben lebendig zu halten. Für Katharina Goldinger ist ebenfalls die Botschaft des Evangeliums Hoffnungsquelle: Es geht um den Glauben an den menschgewordenen Gott, um die Zuwendung zu Armen, um die Botschaft von Erlösung und die Hoffnung: Es wird am Ende irgendwie gut. Davon erzählen zu dürfen ist für sie eine Ermutigung, dabei zu bleiben. Martin Buschermöhle verwies auf die Relevanz der globalen Perspektiven des Christentums. Christ*innen weltweit seien immer wieder in der Lage, gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen, was er anhand der Rolle der griechisch-katholischen Kirche in der Ukraine verdeutlichte. Abschließend reflektierte Rudolf Walter mit Blick auf seine eigene Biographie, dass es für die Kirche immer wieder neu darum gehe, glaubwürdig für menschenwürdiges Leben und christliche Werte einzutreten.

Der Studientag hat sehr bereichernde Diskurse initiiert und wirkt gedanklich weiter. Er leitete uns vor allem zu den folgenden weiterführenden Fragen:

  • Wie müsste religiöse Bildung zukünftig gestaltet sein angesichts dessen, dass positive religiöse Sozialisationserfahrungen zunehmend wegbrechen?
  •  Wie bleibt die Demokratisierung von Kirche nicht nur eine künftige Vision, sondern wie wird sie konkret?
  • Wie gelingt eine Aufarbeitung schuldbelasteter Strukturen, die in zukunftseröffnende und ‑gestaltende Prozesse mündet?
  • Wie schafft man es, die Dimensionen der Menschenrechte (Gerechtigkeit, Freiheit, Solidarität …) derart in kirchliche Prozesse einzubinden, dass die Botschaft des Evangeliums umgesetzt wird?

Wir bedanken uns herzlich bei allen, die diesen Studientag durch ihre Anwesenheit und ihr Engagement bereichert haben, besonders den Referent*innen, den Vertetrer*innen des Instituts und des Mentorats des Bistums Speyer, u.a. für die finanzielle Unterstützung.

Katharina Peetz und Bettina Reichmann