Lecture Series - Archiv
Zwischen Konsens und Entschleunigung? Die Öffentlichkeitsbeteiligung im Standortauswahlgesetz
Gastvortrag von apl. Prof. Dr. Ulrich Smeddinck im Rahmen der Lecture Series
Bürgerdialoge und Bürgerräte erhalten in Deutschland seit einigen Jahren wachsenden Zuspruch. „Demokratische Innovationen“ wie diese bilden auch einen Forschungsschwerpunkt der Arbeitseinheit „Politisches System der Bundesrepublik Deutschland“ an der RPTU, siehe etwa eine jüngst vorgelegte Studie zur Expertenbeteiligung in deliberativen Beteiligungsverfahren. Auch apl. Prof. Dr. Ulrich Smeddinck vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) in Karlsruhe forscht seit Jahren zur Frage, wie Bürgerinnen und Bürger besser beteiligt werden können. Am 25. Juni 2024 kam er auf Einladung von Prof. Dr. Manuela Glaab nach Landau, um über die komplexen Herausforderungen der Endlagersuche für hochradioaktive Abfälle in Deutschland zu sprechen: „Zwischen Konsens und Entschleunigung? Die Öffentlichkeitsbeteiligung im Standortauswahlgesetz“ lautete der Titel seines Gastvortrags im Rahmen der Lecture Series zu aktuellen Fragen der Politikforschung.
Zu Beginn seines Vortrags bot Smeddinck einen Überblick zur Entwicklung der Endlagersuche in Deutschland. Er erläuterte, dass das 2013 erlassene und 2017 novellierte Standortauswahlgesetz (StandAG) ein partizipatives, wissenschaftsbasiertes und transparentes Verfahren zur Bestimmung eines geeigneten Standorts für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle vorsieht. Im Gegensatz zu früheren Verfahren betone das neue Gesetz die frühzeitige Einbindung der Öffentlichkeit. Das Standortauswahlverfahren läuft in drei Phasen ab: die Identifikation von Teilgebieten, die übertägige Erkundung und schließlich die untertägige Erkundung der Standorte. Der finale Schritt umfasst den Standortvorschlag und die endgültige Standortentscheidung. Derzeit, so erklärte Smeddinck weiter, befasst sich das Verfahren mit der Reduzierung der ursprünglich 90 Teilgebiete auf eine kleinere Anzahl zu erkundender Standorte. Als eine große Herausforderung habe sich zudem die Verschiebung der ursprünglich für 2031 vorgesehenen Standortentscheidung auf spätere Zeitpunkte wie 2046 oder sogar 2068 erwiesen. Der Referent hob hervor, wie wichtig es sei, aus historischen Erfahrungen zu lernen und das Vertrauen zwischen Politik, Energiewirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft zu stärken.
Die Öffentlichkeitsbeteiligung spielt im laufenden Standortauswahlverfahren eine zentrale Rolle. Ziel sei es, eine Lösung zu finden, die von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen werde und somit von den Betroffenen akzeptiert werden könne. Dies erfordere einen dialogorientierten Prozess, bei dem Bürgerinnen und Bürger frühzeitig und umfassend informiert und in die Entscheidungsprozesse einbezogen würden. Die Akteure des Verfahrens seien vielfältig: Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) führe das Verfahren durch, während das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) die wissenschaftliche Basis und Transparenz gewährleiste und die Öffentlichkeitsbeteiligung organisiere. Das Nationale Begleitgremium (NBG) spiele eine vermittelnde Rolle, um Vertrauen in das Verfahren zu ermöglichen.
In der anschließenden Diskussionsrunde mit Studierenden wurden mehrere wichtige Aspekte thematisiert, darunter die Berücksichtigung der Nachbarländer im Gesetz. Es wurde auch gefragt, ob Faktoren wie die Bevölkerungsdichte bei der Standortauswahl berücksichtigt werden oder ob rein geologische Entscheidungen im Vordergrund stehen. Zudem wurde diskutiert, an welcher Stelle das Bürgerbeteiligungsverfahren optimal einsetzen sollte. Schließlich wurde die Möglichkeit angesprochen, die Verteilung des Atommülls auf europäischer Ebene zu regulieren. Der Referent betonte abschließend noch einmal die Bedeutung von Lernprozessen und kontinuierlicher Evaluierung innerhalb des Verfahrens. Eine umfassende Informationsplattform sei entscheidend, um allgemeines Lernen zu ermöglichen und die Zukunftsorientierung der gesetzlichen Regelungen zu gewährleisten.
Aktuelle Herausforderungen und Perspektiven öffentlich-rechtlicher Medien
Lecture Series zu aktuellen Fragen der Politikforschung mit Mario Beilhack (RBB) am 10.06.2024
Mario Beilhack, ein erfahrener Medienexperte mit fast drei Jahrzehnten Berufserfahrung im Mediensektor, berichtete auf ein Einladung von Prof. Dr. Manuela Glaab an der RPTU über die aktuellen Herausforderungen und die Zukunftsaussichten der öffentlich-rechtlichen Medien. Die Veranstaltung im Rahmen der Lecture Series zu aktuellen Fragen der Politikforschung bot Studierenden am Campus Landau auch einen Einblick in berufsorientierende Fragestellungen.
Beilhack, der Politikwissenschaften an der LMU München und der Science Po Paris studierte, arbeitet seit 2011 als Qualitätsmanager, zunächst beim Bayerischen Rundfunk und seit 2022 beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB). Sein Aufgabengebiet umfasst die Analyse, Beratung und Unterstützung der Redaktionen bei der Qualitätssicherung von Angeboten im Radio, Fernsehen und Online-Bereich.
Die aktuellen Herausforderungen der öffentlich-rechtlichen Medien verortete der Gastreferent in vier Hauptdimensionen: Erstens revolutionierten die Digitalisierung sowie der Einsatz von Künstlicher Intelligenz nicht nur Produktionsprozesse, sondern transformierten die gesamte Medienlandschaft. Neue digitale Akteure und veränderte Marktstrukturen machen Beilhack zufolge eine flexible Anpassung der öffentlich-rechtlichen Sender erforderlich.
Die zweite Dimension betrifft neue Marktakteure und die notwendige Anpassung der Marktordnungen. Der Medienmarkt erlebe durch die Digitalisierung einen Umbruch, der regulatorische Maßnahmen erfordere, um Vielfalt und faire Wettbewerbsbedingungen zu sichern.
Eine weitere Dimension von Herausforderungen stellt sich aufgrund gesellschaftlich-politischer Transformationen. Zu beobachten sei, wie neue Debatten und gesellschaftliche Strömungen die Medienlandschaft prägen. Nach Beilhacks Einschätzung geht es für die öffentlich-rechtlichen Sender darum, ihre eigene Rolle neu zu definieren.
Die vierte Dimension umfasst die Finanzierung und die Aufsicht über die Medien. Besonders die Beitragsfinanzierung der öffentlich-rechtlichen Sender sowie die Balance zwischen Deregulierung und notwendiger Regulierung standen im Fokus. Angesichts einer zunehmend digitalisierten Medienwelt müssten diese Aspekte sorgfältig abgewogen werden, so Beilhack.
In der anschließenden Diskussionsrunde mit den Studierenden wurden verschiedene Themen adressiert. Dabei stand das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentlich-rechtlichen Medien im Mittelpunkt, ebenso wie die von den Teilnehmenden vorgebrachte Forderung nach mehr Diversität in der Berichterstattung und die Notwendigkeit, das Angebot der öffentlich-rechtlichen Sender auf Social Media Plattformen auszudehnen.
Pannenwahl 2021 - Landeswahlleiter Prof. Dr. Stephan Bröchler analysiert Reform der Berliner Wahlorganisation
„Dann müsst ihr halt improvisieren“ – mit diesem Zitat eröffnete Prof. Dr. Stephan Bröchler, Landesswahlleiter von Berlin seinen Vortrag im Rahmen der Lecture Series Angewandte Politikforschung. Kurz vor einer weiteren in der Hauptstadt anstehenden Nachwahl - laut Urteil des BVerfG muss die Bundestagswahl des Jahres 2021 in 455 von 2.256 Berliner Wahlbezirken wiederholt werden – ist der Professor für Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin ein viel beschäftigter Mann. Daher war er am 23. Januar 2024 nicht nach Landau angereist, sondern digital zu der von Prof. Manuela Glaab im Wintersemester 2023/24 organisierten Veranstaltungsreihe zugeschaltet.
Professor Bröchler thematisierte in seinem Vortrag das Organisationsversagen während der Berliner Verbundwahl im September 2021. Die Ursachen des Wahldebakels und die ergriffenen Maßnahmen zur Prävention weiterer Pannen analysierte er unter Rückgriff auf den in der Politikwissenschaft bekannten Policy-Zyklus. Bröchler richtete den Blick demzufolge auf die Phasen der Problemauswahl, des Agenda-Settings, der Politikformulierung und der Implementation mit Bezug auf die Berliner Wahl:
Die zügige Identifikation der Wahl 2021 als Problem sei unter anderem Besonderheiten der medialen Kommunikation geschuldet gewesen. Die hohe Sichtbarkeit der Wahlfehler und die schnelle Verbreitung dieser über die sozialen Medien wurden als bedeutsame Aspekte herausgestellt. Die Expertenkommission Wahlen in Berlin identifizierte zudem strukturelle Mängel und organisatorische Defizite in Kombination mit der Superwahl als Ursachen des Wahldebakels. In Ihrem Abschlussbericht habe sie die Agenda gesetzt, indem sie Handlungsempfehlungen formulierte, die vom Senat als verbindliche Reformstrategie beschlossen wurden. Im Zuge des Reformprozesses wurde Bröchler am 6. September 2022 zum Wahlleiter für Berlin ernannt; die Reformstrategie wurde durch die Arbeitsgruppe Wahlen implementiert. Dabei spielte die Schaffung eines Landeswahlamts, ständiger Bezirkswahlämter und die Stärkung des Landeswahlleiters eine zentrale Rolle. Ein besonderes Augenmerk lag auf der Schaffung eines transparenteren Wahlprozesses, einer verbesserten Ablauforganisation und einer besseren Qualifizierung der Wahlhelfenden, um zukünftige Pannen zu vermeiden. Als Erfolgsfaktoren hob Bröchler ebenso die initiierten vertrauensbildenden Maßnahmen hervor, insbesondere die Einbindung internationaler Wahlexperten der OSZE und des Europarates zur Bewertung der Planung und Durchführung der Wiederholungswahl. Die Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin fand bereits am 12. Februar 2023 statt und sechs Wochen später wurde der Volksentscheid Berlin klimaneutral 2030 wiederholt – jeweils ohne größere Zwischenfälle.
Bröchler schloss seinen Vortrag mit den Erfolgsbedingungen für die Berliner Wiederholungswahlen und verwies insbesondere auf den hohen öffentlichen Problemdruck und bestehende Restriktionen, beispielsweise hinsichtlich der Finanzierung der Reformmaßnahmen. Die anschließende Diskussionsrunde widmete sich zunächst den Chancen und Herausforderungen digitaler Wahlverfahren. Zudem bot sie die Gelegenheit für einen Austausch über zentrale Aspekte der Reform der Berliner Wahlorganisation und zeigte auf, dass die Weiterentwicklung des Wahlsystems ein kontinuierlicher Prozess ist, der eine Zusammenarbeit zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft erfordert.
Public Affairs – ein Praxisbericht aus dem Bereich der Energiewende
Ein problemorientierter Theorie-Praxis-Transfer ist zentrales Anliegen der angewandten Politikforschung. Die von Prof. Dr. Manuela Glaab an der RPTU veranstaltete Lecture Series bietet den Studierenden im Wintersemester 2023/24 erneut die Chance, mit renommierten Gästen über relevante Praxisfelder zu diskutieren. Am 16. Januar 2024 folgte Dr. Andreas Kießling der Einladung an den Campus Landau, um über das Thema „Lobbying in der Energiewende. Aktuelle Herausforderungen und Perspektiven der Public Affairs“ zu sprechen.
Der Leiter Vorstandsbüro und Politik bei der in Regensburg ansässigen Bayernwerk AG, der seine Karriere einst als Politikwissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität München begonnen hatte, bot den Studierenden zunächst einen kompakten Überblick über die Geschäftsfelder des Unternehmens. Den Ausbau der Stromnetze bezeichnete er als „Rückgrat der Energiewende“. Die seitens der Politik vorgegebenen Ziele der Energiewende erzeugten einen Investitionsbedarf von rund 6 Mrd. Euro in den nächsten drei Jahren. Mit 36.000 neuen Kilometern Mittel- und Niederspannungsleitungen und 300 neuen Umspannwerken soll die Infrastruktur des Bayernwerkes in den nächsten 10 Jahren massiv ausgebaut werden.
Kießling betonte, wie essentiell die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik in diesem Bereich sei und leitete damit zum Schwerpunkt Public Affairs über. Sachliche Argumente, die richtigen Ansprechpartner und perfektes Timing stellten seiner Erfahrung nach die drei Hauptfaktoren für erfolgreiches Lobbying dar. „Im Kern geht es aber immer auch um Vertrauen“, erklärte Kießling weiter. Die Bereitstellung von Expertise, persönliche Gespräche, Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungen nannte er als zentrale Elemente. Gerade bei den letzten beiden Punkten habe sich viel verändert: „Politikberatung rückt aus den Hinterzimmern auf die Bühne“ – so die Einschätzung des Gastreferenten. Heute würden derartige Anlässe gezielt genutzt, um Präsenz in der Öffentlichkeit zu zeigen. Aber auch bewährte Formate wie das parlamentarische Frühstück oder parlamentarische Abende seien weiterhin Praxis.
Abschließend stellte sich Kießling den Fragen der Studierenden, wobei auch die Herausforderungen seines Berufsalltags zur Sprache kamen, etwa strikte Deadlines und das richtige Timing im Gesetzgebungsprozess. Den Studierenden verdeutlichte er anhand von Beispielen zudem, dass größere Unternehmen über vielfältigere Instrumente und Kanäle des Lobbyings verfügen als kleinere Firmen, die stärker auf den Verbandslobbyismus angewiesen seien. Insgesamt machte Kießling klar, welch starken Wandel nicht nur die Energiewirtschaft, sondern auch die Branche der Public Affairs aktuell durchläuft.
„Demokratie ist unsere Leidenschaft“.
Gastvortrag von Dr. Sarah Scholl-Schneider zu Chancen und Herausforderungen der politischen Bildung in Rheinland-Pfalz
Politische Bildungsarbeit ist gegenwärtig an vielen Stellen gefordert, in der Schule wie auch an außerschulischen Lernorten und nicht zuletzt im gesamtgesellschaftlichen Diskus. Damit zusammenhängenden Fragen widmete sich ein Gastvortrag im Rahmen der Lecture Series Angewandte Politikforschung, die im Wintersemester 2023/24 von Prof. Dr. Manuela Glaab an der RPTU organisiert wurde. Den Auftakt machte am 9. Januar 2024 ein Gastvortrag von Dr. Sarah-Scholl-Schneider, Stellvertretende Direktorin der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz (LpB), die am Campus Landau über die aktuellen Herausforderungen und Perspektiven der politischen Bildung in Rheinland-Pfalz berichtete.
Als überparteiliche Einrichtung der Landesregierung informiert die LpB Bürgerinnen und Bürger über die Grundlagen des politischen Systems mit dem Ziel, demokratisches Bewusstsein und politische Urteilsfähigkeit zu fördern. Scholl-Schneider betonte die Wichtigkeit, kontroverse Themen wie beispielweise Migration aufzugreifen, um den gesellschaftlichen Diskurs zu versachlichen, Dialogfähigkeit und Kompromissbereitschaft zu stärken.
Auch informierte sie über die zahlreichen Veranstaltungen und Angebote der Landeszentrale, wie zum Beispiel die Arbeit der Gedenkstätten Hinzert und Osthofen. Die Referentin hob hervor, dass politische Bildung nicht nur historische Aspekte, sondern auch aktuelle Entwicklungen berücksichtigen müsse. Trotz geringer musealer Präsenz des Themas Zuwanderung in Rheinland-Pfalz gebe es interessante Fälle in der Geschichte des Bundeslandes, die dazu in den Fokus genommen werden könnten. Scholl-Schneider nannte Initiativen wie den Landtagsantrag „Demokratieland“ und die Weiterentwicklung der Argumentationstrainings als wichtige Perspektiven für die Landeszentrale im Jahr ihres 50-jährigen Bestehens..
In der anschließenden Diskussion unter der Leitung von Professorin Glaab wurden vielfältige praktische Aspekte besprochen; darunter die Frage, wie der Zunahme von Hatespeech und demokratiefeindlichen Kommentaren auch auf den Social-Media-Kanälen der LpB aktiv begegnet werden könnte. Daneben wurden methodische Innovationen beleuchtet, mithilfe derer sich das Interesse der Bürgerinnen und Bürger an den Angeboten der Landeszentrale stärker wecken lässt.
Vortrag von Professor Dr. Karl-Rudolf Korte in Landau voller Erfolg
„Guten Tag, liebe Fans der Bundespräsidenten“, begrüßte Professor Dr. Karl-Rudolf Korte bestens gelaunt das gespannt wartende Publikum im Audimax auf dem Campus Landau. Der renommierte Politikwissenschaftler (Universität Duisburg-Essen/ NRW School of Governance) sprach am 3. Mai 2022 auf Einladung von Professorin Dr. Manuela Glaab, Abteilung Politikwissenschaft der Universität Koblenz-Landau, zum Thema „Gewissheitsschwund: Die Provokation der Freiheit und das Amt des Bundespräsidenten“. Rund 90 Interessierte, eine gute Mischung aus Studierenden, Universitätsmitarbeiter*innen und interessierten Bürgerinnen und Bürgern, folgten aufmerksam dem Vortrag des auch aus den Medien bekannten Gastreferenten.
Korte legte den Fokus seiner Ausführungen zunächst auf die besondere außenpolitische Rolle des Bundespräsidenten. Mit Blick auf die komplexen Netzwerke der zwischenstaatlichen Diplomatie und die vielen Krisenherde auf der Welt sagte er: „Der Bundespräsident ist immer in der Lage, ein internationaler Türöffner zu sein.“ Beispielhaft führte er diese These anhand der proaktiven Rolle Joachim Gaucks bei der Münchener Sicherheitskonferenz im Jahr 2014 sowie der viel beachteten Reise des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizäcker im Jahr 1987 nach Moskau aus. Generell legte Korte während seines gesamten Vortrags großen Wert darauf, seine Ausführungen mit Beispielen aus der praktischen Politik zu untermauern. Dies wurde auch sichtbar, als er die Rolle des Bundespräsidenten gegenüber jener der Bundeskanzlerin bzw. des Bundeskanzlers abgrenzte: „Denken Sie nur an das ‚Paar‘ Joachim Gauck und Angela Merkel: Hier ist es doch interessant, wie Gauck mit seiner Emotionalität im Vergleich zur für ihre Ruhe und Rationalität bekannten Angela Merkel wahrgenommen wurde“, sagte Korte direkt an das Publikum gewandt. Dagegen seien der amtierende Bundespräsident, Frank-Walter Steinmeier, sowie der amtierende Bundeskanzler, Olaf Scholz, „doch viel ähnlichere Typen“, führte er aus.
Unabhängig von Personen – mit Blick auf die Ausfüllung des Amtes formulierte Korte einen klaren Anspruch: „Ich erwarte persönlich, dass jeder Inhaber dieses Amt aktiv nutzt und etwas daraus macht.“ Wie das in der Praxis aussehen könnte, erklärte er im Anschluss anhand von vier konkreten Möglichkeiten: Demnach könne der Bundespräsident erstens verstärkt als „Meinungsbildner“ auftreten. Gerade in der aktuellen Transformationsphase vieler Lebensbereiche sei die Frage besonders zentral, wie möglichst alle BürgerInnen in den gesellschaftlichen Diskurs eingebunden werden könnten. Die zweite Kernaufgabe skizzierte Korte unter dem Schlagwort des „Versöhnungsstifters“. Insbesondere mit Blick auf die mannigfaltigen Auswirkungen der Corona-Pandemie sagte er: „Es kann auch eine wichtige Aufgabe für den Bundespräsidenten sein, das Gemeinwesen wieder als Ganzes zusammenzuführen.“ Die dritte Möglichkeit zum Amtsgebrauch sieht Korte als „Zivilitätswächter“ – der Bundespräsident sei qua seines Amtes in einer Schlüsselrolle, wenn es darum geht, die „demokratische Zivilität“ in der Gesellschaft zu erhalten und zu fördern. Er könne möglicherweise verstärkt als eine Art „Anti-Echokammer“ wirken, erläuterte er.
Die vierte Rolle sieht der Politikwissenschaftler mit Blick auf die großen künftigen gesellschaftlichen Aufgaben als „Zukunftsdenker und Visionär“. Hier laute die entscheidende Frage: „Welche Möglichkeiten haben wir, jederzeit maximal handlungsfähig zu sein, wenn irgendetwas Unvorhergesehenes passiert?“, so Korte.
In der anschließenden Diskussion unter der Leitung von Professorin Manuela Glaab zeigte sich, wie vielfältig Kortes Ausführungen durch das Publikum aufgenommen und kommentiert wurden. Es wurde deutlich, dass die Frage nach der zentralen Rolle des Bundespräsidenten – insbesondere angesichts der aktuellen und zukünftigen gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen – auch von den Zuhörerinnen und Zuhörern als Schlüsselfrage betrachtet wurde. Zum Abschluss richtete sich der Referent mit einem Appell direkt an sein Publikum: „Fordern Sie etwas von diesem Amt und der Person, die dieses Amt bekleidet“, ermutigte er seine Zuhörerinnen und Zuhörer.
Bericht und Foto: Karsten Schäfer
Politikmanagement unter Stress – Regieren in Zeiten der Covid-19-Pandemie: Gastvortrag von Dr. Martin Florack
Seit über einem Jahr wird die Nachrichtenlage von der Covid-19-Pandemie dominiert, die alle Lebensbereiche - auch den universitären Alltag – tiefgreifend verändert hat. Für die Regierungsforschung ist von besonderem Interesse, wie das Krisenmanagement die Regierungsagenda auf Bundes- wie auch Landesebene bestimmt und die Entscheidungsfindung in informale Verhandlungsarrangements verlagert. Den damit zusammenhängenden Fragen widmete sich Dr. Martin Florack am 01. Juni 2021 in seinem digitalen Gastvortrag unter dem Titel „Politikmanagement unter Stress – Regieren in Zeiten der Covid-19-Pandemie“. Florack ist Regierungsdirektor beim Landtag Rheinland-Pfalz und leitet dort das Projekt "Reallabor Demokratie". Zudem ist er Fellow der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen sowie Mitherausgeber und Autor der kürzlich erschienenen Studie "Coronakratie. Demokratisches Regieren in Ausnahmezeiten" (Campus: Frankfurt a.M./New York 2021). Er folgte der Einladung von Prof. Dr. Manuela Glaab, um im Rahmen der von ihr am Campus Landau regelmäßig organisierten Lecture Series zu aktuellen Fragen der Politikforschung zu sprechen.
Zu Beginn seines Vortrags vor Studierenden der Sozial- und Kommunikationswissenschaften stellte Florack die These auf, dass aus der Wellenbewegung der Pandemie auch eine Wellenbewegung der Politik resultiere. Kennzeichnend sei hierfür der Umgang mit Unsicherheit und Ungewissheit, der in der Pandemiesituation eine Hauptaufgabe der Politik darstelle. Zusätzlich werde das Politikmanagement durch die anstehende Bundestagswahl beeinflusst. Von dieser Ausgangsbeobachtung aus widmete sich Florack verschiedenen Forschungszugängen zur Analyse des aktuellen Politikmanagements, wobei er das Konzept der Pfadabhängigkeit in den Mittelpunkt rückte. Denn die in der Krise eingeschlagenen „Pfade“, wie beispielsweise ein beschleunigtes Gesetzgebungsverfahren oder die Einberufung von Ministerpräsidentenkonferenzen, seien keineswegs vollkommen neu.
Auch bei der Krisenbegrifflichkeit sind Florack zufolge „Pfadabhängigkeiten“ erkennbar. So wecke der Begriff „Krise“ bei allen Menschen bestimmte Assoziationen, wenn auch in unterschiedlicher Weise. Allgemein werde davon ausgegangen, dass exogene Schocks in Krisen dazu führten, die nach längeren stabilen Phasen vorherrschenden „Pfadabhängigkeiten“ zu überwinden. Der Begriff der „Corona-Krise“ diene folglich dazu, das Verlassen der etablierten Pfade zu legitimieren und politische Maßnahmen zu rechtfertigen. Florack widersprach allerdings der These, dass die Pandemie wie ein exogener Schock über Deutschland hereingebrochen sei und einen umfassenden Politikwandel herbeigeführt habe. Vielmehr sei auf bereits bewährte Policy-Instrumente zurückgegriffen worden, wie das Beispiel des Kurzarbeitergeldes demonstriere: Dieses kam schon bei früheren Krisen zum Einsatz und musste nur „aus der Schublade gezogen werden“. Darüber hinaus wies Florack darauf hin, dass die Krisenrhetorik zur Normalität geworden sei, da eine Krise der anderen folge. Die Gefahr bestehe dabei darin, dass politische Entscheidungen in einer Krise oftmals auf technokratischen Expertisen beruhen würden. Dies sei allerdings nicht das Wesen von Politik, die sich vor allem durch Handlungsalternativen und deren Abwägungen charakterisiere.
Abschließend widmete sich Florack noch den Besonderheiten des Wahljahres 2021. Die mit der Altersverteilung der Wählerschaft einhergehende geringere Gewichtung der Interessen der unter 40-Jährigen stieß bei den studentischen Zuhörern des Vortrags auf besondere Aufmerksamkeit. Dieses Problem werde durch die heterogenen Interessen von Studierenden und durch die Tatsache, dass viele Schüler*innen noch nicht wahlberechtigt sind, noch verschärft. Florack wies zudem auf die eklatanten Unterschiede der Parteienwettbewerbsstrukturen auf Bundes- und Länderebene hin. Durch die Vielfalt der Koalitionen auf Länderebene herrsche dort ein komplexes Parteiensystem vor, dem der Bund momentan noch hinterher hänge. Ein Ende der „Großen Koalition“ sei deshalb wahrscheinlich. Die Herausforderungen der Pandemie überlagerten weiterhin den Wahlkampf, was zwei alternative Botschaften nahelege: „Sicherheit“ versus „Erneuerung“. Jedoch sei nicht klar abzusehen, wie sich die Pandemie-Lage bis zur Bundestagswahl entwickelt und ob zu diesem Zeitpunkt andere Themen relevanter seien. Bevor sich Florack den Fragen des digitalen Publikums stellte, machte er daher klar, wie schwierig es für die Forschung aktuell ist, Hypothesen aufzustellen und Prognosen abzugeben.
Datum der Meldung 11.06.2021 00:00
Das Wahljahr 2019 in Deutschland – Ende des bisherigen Parteiensystems? Gastvortrag von Prof. Dr. Ulrich Eith
Das Wahljahr 2019 war ereignisreich: Die Europawahl vom Mai wie auch die Landtagswahlen desselben Jahres geben Anlass zu Diskussionen über den Zustand und die Perspektiven des deutschen Parteiensystems. Den damit zusammenhängenden Fragen widmete sich Prof. Dr. Ulrich Eith (Universität Freiburg) in seinem Gastvortrag unter dem Titel „Das Wahljahr 2019 in Deutschland – Ende des bisherigen Parteiensystems?“ an der Universität Koblenz-Landau. Der Direktor des Studienhaus Wiesnek (Buchenbach) und Geschäftsführer der „Arbeitsgruppe Wahlen Freiburg“ war am 02. Dezember 2019 der Einladung von Prof. Dr. Manuela Glaab gefolgt, im Rahmen der von ihr am Campus Landau regelmäßig organisierten Lecture Series zu aktuellen Fragen der Politikforschung zu sprechen.
Zu Beginn seines Vortrags rief Professor Eith noch einmal die Ergebnisse der Europawahl in Erinnerung, wobei in Deutschland insbesondere die gestiegene Wahlbeteiligung und eine erhöhte Wertschätzung der Europäischen Union auffallend waren. Mit Blick auf die Gewinne und Verluste der Parteien hob Eith die starken Stimmengewinne von Bündnis 90/Die Grünen hervor, die bereits auf den Bedeutungsgewinn des Klimawandels als zentrales politisches Thema hindeuteten. Gleichzeitig habe sich eine weitere Polarisierung zwischen dem Osten und Westen Deutschlands und somit ein Auseinanderdriften der Wählerschaft gezeigt.
Danach ging Eith auf die Landtagswahlen 2019 in Bremen, Brandenburg, Sachsen und Thüringen ein und machte deutlich, dass sich alle Ministerpräsidenten der vorangegangenen Wahlperiode – wenn auch mit Verlusten – behaupten konnten. Die AfD habe zwar gute Ergebnisse erreicht, konnte aber in keinem Bundesland stärkste Kraft werden. Ein markanter Unterschied zur Europawahl werde sichtbar, wenn man die Grünen betrachte: Diese spielten im Gegensatz zur Europawahl bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland nur eine nachrangige Rolle. Die Frage sei nun, wie sich die Wahlergebnisse der verschiedenen Parteien erklären ließen. Hierzu ging der Referent auf grundlegende Faktoren ein, etwa die den Parteien zugeschriebenen Problemlösungskompetenz, deren Personal mit Vertrauensbonus oder ein geschlossenes Erscheinungsbild. Es sei zudem wichtig, eine Balance zwischen Stammwählern und Wechselwählern zu finden, also beide Zielgruppen möglichst gut mit dem Wahlprogramm zufrieden zu stellen. Dies könne allerdings Konflikte mit sich bringen, da eine Orientierung der Partei hin zu den Interessen der Wechselwähler, die Stammwähler verärgern könne.
Anschließend setzte sich Professor Eith explizit mit der im Titel des Vortrags formulierten Frage nach dem „Ende des bisherigen Parteiensystems“ auseinander. Dazu argumentierte er, dass es im Konfliktlinienmodell der „Cleavage-Theorie“ eine neue „kosmopolitische vs. nationalistische“ Konfliktlinie gebe: Die „kosmopolitische“ Seite sehe mehr internationale Beziehungen und Zusammenarbeit als Lösung der aktuellen Probleme; die „nationalistische“ Seite setze im Gegensatz dazu auf den Nationalstaat. Die Grünen und die AfD stünden sich auf dieser Konfliktlinie als Antipoden entgegen. Dies sei ein weiterer Faktor für den Erfolg der beiden Parteien und stelle gleichzeitig ein Problem für alle anderen Parteien dar, da diese keine klare Position auf dieser Konfliktlinie besäßen. Diese neue Konfliktlinie sei allerdings nicht die einzige Veränderung im deutschen Parteiensystem, sondern es fände auch eine Neupositionierung fast aller Parteien auf den bekannten Konfliktlinien statt.
Abschließend richtete Professor Eith den Blick nach vorne und erklärte, dass es für die Parteien wichtig sei, eine klare Position zu beziehen, wenn sie Erfolg haben möchten. „Die Wähler wollen gehört werden“ und es müssten klare Grenzen gegen den Rechtspopulismus gezogen werden. Er verband dies mit einem Plädoyer für die Demokratie: „Demokratie kann man auch verlieren“, daher müsse das Bewusstsein für deren Wert gestärkt werden. Bevor sich Prof. Dr. Ulrich Eith den Fragen des zahlreich erschienenen Publikums stellte, beendete er seinen Vortrag mit einem zuversichtlichen Zitat von Karl Popper: „Der Vorzug der Demokratie ist, dass ihre Fehler korrigierbar sind, dass Fortschritt über Fehlschritte möglich ist.“
Datum der Meldung 19.12.2019 00:00