Lecture Series

Die von Prof. Dr. Manuela Glaab geleitete Arbeitseinheit „Politisches System der Bundesrepublik Deutschland“ misst dem Praxisbezug politikwissenschaftlicher Forschung einen hohen Stellenwert bei.  Ziel ist es daher, Forschungsthemen, Studieninhalte und Berufspraxis miteinander zu verknüpfen. Dazu werden regelmäßig externe ExpertInnen und Kooperationspartner zu Vorträgen und Gesprächsrunden an die Universität Koblenz-Landau eingeladen, um den Dialog zu den Themenschwerpunkten der Arbeitseinheit zu führen.

Die im Wintersemester 2014/15 aufgenommene Lecture Series zu aktuellen Fragen der Politikforschung will diesem Ansatz am Institut für Sozialwissenschaften einen Rahmen geben. Im  Austausch mit Gästen aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft soll der Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis ermöglicht werden. Nicht zuletzt erhalten die Studierenden durch die Lecture Series die Gelegenheit, Einblick in aktuelle Forschungsprojekte und laufende Debatten zu nehmen.

Pannenwahl 2021 - Landeswahlleiter Prof. Dr. Stephan Bröchler analysiert Reform der Berliner Wahlorganisation

Dann müsst ihr halt improvisieren“ – mit diesem Zitat eröffnete Prof. Dr. Stephan Bröchler, Landesswahlleiter von Berlin seinen Vortrag im Rahmen der Lecture Series Angewandte Politikforschung. Kurz vor einer weiteren in der Hauptstadt anstehenden Nachwahl - laut Urteil des BVerfG muss die Bundestagswahl des Jahres 2021 in 455 von 2.256 Berliner Wahlbezirken wiederholt werden – ist der Professor für Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin ein viel beschäftigter Mann. Daher war er am 23. Januar 2024 nicht nach Landau angereist, sondern digital zu der von Prof. Manuela Glaab im Wintersemester 2023/24 organisierten Veranstaltungsreihe zugeschaltet.

Professor Bröchler thematisierte in seinem Vortrag das Organisationsversagen während der Berliner Verbundwahl im September 2021. Die Ursachen des Wahldebakels und die ergriffenen Maßnahmen zur Prävention weiterer Pannen analysierte er unter Rückgriff auf den in der Politikwissenschaft bekannten Policy-Zyklus. Bröchler richtete den Blick demzufolge auf die Phasen der Problemauswahl, des Agenda-Settings, der Politikformulierung und der Implementation mit Bezug auf die Berliner Wahl:

Die zügige Identifikation der Wahl 2021 als Problem sei unter anderem Besonderheiten der medialen Kommunikation geschuldet gewesen. Die hohe Sichtbarkeit der Wahlfehler und die schnelle Verbreitung dieser über die sozialen Medien wurden als bedeutsame Aspekte herausgestellt. Die Expertenkommission Wahlen in Berlin identifizierte zudem strukturelle Mängel und organisatorische Defizite in Kombination mit der Superwahl als Ursachen des Wahldebakels. In Ihrem Abschlussbericht habe sie die Agenda gesetzt, indem sie Handlungsempfehlungen formulierte, die vom Senat als verbindliche Reformstrategie beschlossen wurden. Im Zuge des Reformprozesses wurde Bröchler am 6. September 2022 zum Wahlleiter für Berlin ernannt; die Reformstrategie wurde durch die Arbeitsgruppe Wahlen implementiert. Dabei spielte die Schaffung eines Landeswahlamts, ständiger Bezirkswahlämter und die Stärkung des Landeswahlleiters eine zentrale Rolle. Ein besonderes Augenmerk lag auf der Schaffung eines transparenteren Wahlprozesses, einer verbesserten Ablauforganisation und einer besseren Qualifizierung der Wahlhelfenden, um zukünftige Pannen zu vermeiden. Als Erfolgsfaktoren hob Bröchler ebenso die initiierten vertrauensbildenden Maßnahmen hervor, insbesondere die Einbindung internationaler Wahlexperten der OSZE und des Europarates zur Bewertung der Planung und Durchführung der Wiederholungswahl. Die Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin fand bereits am 12. Februar 2023 statt und sechs Wochen später wurde der Volksentscheid Berlin klimaneutral 2030 wiederholt – jeweils ohne größere Zwischenfälle.

Bröchler schloss seinen Vortrag mit den Erfolgsbedingungen für die Berliner Wiederholungswahlen und verwies insbesondere auf den hohen öffentlichen Problemdruck und bestehende Restriktionen, beispielsweise hinsichtlich der Finanzierung der Reformmaßnahmen. Die anschließende Diskussionsrunde widmete sich zunächst den Chancen und Herausforderungen digitaler Wahlverfahren. Zudem bot sie die Gelegenheit für einen Austausch über zentrale Aspekte der Reform der Berliner Wahlorganisation und zeigte auf, dass die Weiterentwicklung des Wahlsystems ein kontinuierlicher Prozess ist, der eine Zusammenarbeit zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft erfordert.