Spring School 2024 - Erfahrungsbericht

Die Presse in der Landespolitik:

Zwischen Planspielrolle und journalistischer Realität

Ein Bericht zur „Spring School 2024“ von Tristan Probst

 

Eine pluralistische Medienlandschaft ist integraler Bestandteil jeder gefestigten Demokratie. Sie dient der Bevölkerung als Mittel zur Beschaffung von Informationen, sorgt für einen lebendigen öffentlichen Diskurs und nimmt eine Kontrollfunktion wahr, indem sie Missstände aufdeckt (bpb 2016). Die föderale Struktur der BRD stellt hierbei ein besondere Herausforderungen für Redaktionen und politische Journalist:innen dar. Bundes- und Länderebene teilen sich die Kompetenzen und haben je nach Politikfeld einen unterschiedlich großen Anteil an Gesetzgebung und politischer Gestaltung. Während bspw. auswärtige Angelegenheiten in der alleinigen Verantwortung des Bundes liegen, ist das Hochschulrecht in hauptsächlicher Verantwortlichkeit bei den Ländern. Diese Ausdifferenzierung der Kompetenzverteilung müssen auch die Redaktionen bei der Berichterstattung berücksichtigen. Doch gerade in den großen überregionalen Qualitätsmedien mit hoher redaktioneller Kompetenzbündelung existiert ein starker Fokus auf die Bundesebene, der sich auch in der geringeren Zahl an Redakteuren für die Landespolitik niederschlägt (Fengler&Vestring 2009). Dies ist umso schwieriger zu begründen, als die Landespolitik für das alltägliche Leben der Bürger:innen oftmals eine hohe tatsächliche Relevanz besitzt. Hier übernehmen dann meist Regionalzeitungen, die zwar einen guten Überblick über das allgemeine Geschehen in den Ländern bieten, aber deren Berichterstattung qualitativ sehr unterschiedlich ausfallen. So scheidet die regionale Berichterstattung einer qualitativen Studie aus dem Jahr 2019 zufolge in den Dimensionen Diskursivität, Kritik, Relevanz und Analyse/Hintergrund im Allgemeinen unterdurchschnittlich ab (Gleich&Puffer 2019).

Vor diesem Hintergrund soll meine Planspielrolle während der Spring School „Verhandeln, Vermitteln, Kommunizieren“ vom 14.-16.02.2024 reflektiert werden. Hier übernahm ich die Rolle des Markus Wiesenthal, eines Journalisten der „Seriösen Nachrichten“, eines fiktiven Blatts, das in seiner Ausrichtung an der überregionalen Tagespresse wie SZ oder FAZ orientiert war. In dieser Rolle sollte ich das gespielte Landtagsgeschehen und die Interaktionen der verschiedenen Fraktionen am Beispiel zweier Anträge, der Errichtung eines Hochbegabtengymnasiums und der Gründung einer Klimaagentur, verfolgen und das Geschehen kommentieren. Im folgenden Abschnitt werde ich mein Rollenverhalten während des Planspiels beschreiben und die Angemessenheit meines Rollenverhaltens reflektieren. Als Basis für die Reflektion dient ein Gesprächsabend mit zwei Journalist:innen von SZ und FAZ außerhalb des Planspielgeschehens.

Rollenverhalten

Der erste Tag des Planspiels bestand für mich vor allem in der Orientierung. Da meine Rolle zu Beginn des Szenarios bis auf die im Zentrum des Planspiels stehenden beiden Antragsthemen kaum Informationen über die genauere inhaltliche Ausgestaltung der Anträge, die Positionen der Fraktionen und die Verhältnisse innerhalb der Fraktionen besaß, bestand meine Aufgabe zuerst darin, eben diese Informationslücken zu füllen. Hierfür sendete ich über das zur Verfügung stehende Nachrichtenportal Anfragen an alle Fraktionen und versuchte auf diese Weise Informationen für einen ersten Überblicksartikel zu besorgen. Während einige Fraktionen schnell antworteten, ignorierten oder übersahen mich andere Fraktionen auf diesem Kommunikationskanal. Nach einem zufälligen Treffen mit einem Mitglied einer Fraktion, die ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht interviewen konnte, im Foyer änderte ich meine Strategie dahingehend, dass ich meinen „Pressestand“ in eben diesem Foyer aufbaute. Das hatte den Vorteil, dass alle Fraktionen für die Verhandlungen miteinander an mir vorbeilaufen mussten und ich sie so „abfangen“ oder zumindest an mich erinnern konnte. Auf diese Weise bekam ich zumindest einen groben Überblick über die einzelnen Fraktionspositionen und mögliche Konfliktlinien, sowohl innerhalb der Fraktionen als auch zwischen den Parteien. Auf diese Weise produzierte ich erst spät am Tag einen ersten Überblicksartikel zu den Ausschussinhalten der nächsten beiden Tage, während mein Counterpart von der Boulevardpresse in dieser Zeit bereits zwei kurze Artikel mit knackigen Überschriften und provozierendem Inhalt zum Besten gegeben hatte. Ein Umstand, der mir in meiner Rolle das Druckgefühl vermittelte, einen ähnlichen Output zu produzieren.

Der zweite Planspieltag wurde davon bestimmt, dass durch eine Oppositionspartei eine Falschmeldung über etwaige Verhandlungen von Regierungsmitgliedern der konservativen CVP mit Abgeordneten vom rechten Rand an die Boulevardpresse durchgestochen wurde. Da der Inhalt vom Boulevardblatt „Schnelle Post“ vor der Veröffentlichung nicht weiter geprüft worden war, sah ich mich in meiner Rolle genötigt, auf diesen brisanten Informationszug aufzuspringen und zu versuchen, die Hintergründe zu klären. Die Falschmeldung löste eine Regierungskrise aus, in deren Folge ich auf zweierlei Ebenen recherchierte: Einerseits musste ich versuchen, so gut wie möglich herauszufinden, ob an dem Bericht der Boulevardpresse etwas Wahres dran war und andererseits galt es, die dadurch aufgebrochen Konfliktlinien zwischen den Regierungsfraktionen verfolgen. Hierbei sind zwei Aspekte, die meine Rolle betrafen, aufgefallen: Erstens, ich war aufgrund der allgemeinen Verfasstheit der CVP und der vielen Stimmen in der Partei, die eine Zusammenarbeit mit der OfR nicht mehr grundsätzlich ausschließen wollten, sehr geneigt der Meldung glauben zu schenken, da sie eine gewisse Erzählung konsequent weiterführte. Ich habe zwar versucht, die Hintergründe durch mehrere Interviews zu klären, aber da dies (auch aufgrund der Planspielsituation) nicht eindeutig möglich war, betonte mein Artikel zwar, dass die Beschuldigungen nicht abschließend geklärt werden konnte und dass eine strategische Instrumentalisierung solcher „Fake News“ durch die Opposition eine Möglichkeit sein könnten, aber fokussierte in meiner Analyse dann trotzdem auf das durch die Nachricht ausgelöste Misstrauen gegenüber der Regierung und spielte entsprechend dem gewollten Narrativ der „Fake News“-Verbreiter zu. Zweitens wurde in der Aufregung, die auf die Meldung folgte, von allen Fraktionen versucht, durch durchgestochene Informationen an meine Presserolle die eigene Position zu stärken und die Position der anderen Parteien zu schwächen. Ich sah mich entsprechend mit sehr viel potenziellem „Nachrichtenwert“ konfrontiert. Im Versuch, eine Ausgewogenheit in meinen Nachrichtenmeldungen zu gewährleisten, entschied ich mich gegen die Einzelbehandlung jeder dieser „Nachrichten“ und sammeltes stattdessen alles und vereinte alle Informationen in einem Überblicksartikel, in dem eher die groben Konfliktlinien nachgezeichnet wurden, als jedem einzelnen Vorwurf seinen eigenen Platz einzuräumen und so ein Bild von Politik als ein missgünstiges und schmutziges Geschäft zu zeichnen. Neben der schwierigen Gemengelage war ein weiteres Problem, dass mich die Aufregung über die Meldung der Boulevardpresse in eine Situation versetzte, in der ich unter Zugzwang stand, schnellstmöglich zu reagieren. Ein Bedürfnis, das im Kontrast zu meinem Rollenideal stand, Hintergrundinformationen und prägnante Analysen zu liefern. Nachdem die Regierungskoalition am Ende des zweiten Tages wieder zu einer geordneten Arbeitsweise zurückfand und damit den parteipolitischen Differenzen erstmal ein Ende gesetzt wurden, änderte sich auch meine Pressearbeit. Ab diesem Moment konnte ich wieder auf die inhaltlichen Dimensionen des Gesetzgebungsprozesses fokussieren. D.h. ich habe mir die Anträge in den Ausschüssen angeschaut, die Ursprungs- und die finalen Versionen miteinander verglichen und konnte daraus ableiten, welche Partei welche Positionen durchsetzen konnte und an welcher Stelle Parteien Abstriche machen mussten, kurz ich konnte die Bargaining-Prozesse nachvollziehen. Auf dieser Basis konnte ich die Ergebnisse in einen größeren Kontext stellen: Welche Bedeutung wird das Abstimmungsverhalten der Fraktionen für die anstehenden Wahlen haben? Wurden Parteiwerte im Sinne des Koalitionsfriedens hintenangestellt? Und welche Bedeutung hat das Verhalten der Parteien auf deren allgemeine Wahrnehmung?

Die große Frage, die sich mir in Anbetracht dieser zwei unterschiedlich verlaufenden Phasen meiner Rolle auf der Metaebene stellte, war, inwiefern die Berichterstattung den politischen Dynamiken nachläuft. Also, dass je aufgeregter und unsachlicher Politik stattfindet, desto aufgeregter und unsachlicher auch die Medien berichten. Im Gegenzug könnte man auch die These aufstellen, dass eine sachliche politische Auseinandersetzung auch zu einer stärker sachlich ausgerichteten Berichterstattung führt. Auch Winfried Kretschmann, der langjährige Ministerpräsident Baden-Württembergs sieht einen zunehmenden Trend zur „Boulevardisierung und Skandalisierung“ (BZ 2021) in der medialen Berichterstattung. Eine spannende Frage wäre nun, inwiefern dieser Trend alleinig auf die Dynamiken des medialen Betriebs und dessen Drang zur Aufmerksamkeitsgenerierung zurückzuführen ist oder ob dieser nicht zumindest teilweise durch das aufgeheizte Diskurserhalten zwischen den Parteien induziert wird.

Angemessenheit des Rollenverhaltens

Die erste Frage, die sich mir im Zusammenhang mit meiner Rolle gestellt hat, war, inwiefern mein Arbeitsmodus im Rahmen des Planspiels der Realität entspricht? Denn während ich, dem Modus des Planspiels geschuldet, durchgehend vor Ort und in direktem Kontakt mit den ‚Abgeordneten‘ war, müssen sich die Landeskorrespondent:innen von SZ und FAZ um die Berichterstattung in drei Bundesländern kümmern und können dementsprechend zeitlich keinen Drei-Tages-Marathon für jedes Thema veranstalten. Auch findet zwischen Abgeordneten und Presse keine derart kleinteilige Rücksprache zu jeder Zwischenverhandlung statt. Laut Timo Steppart von der FAZ und Gianna Niewel von der SZ, die sich zusammen mit Landtagspräsident Hendrik Hering (SPD) die Zeit für einen gemeinsamen Gesprächsabend mit den Planspielteilnehmer:innen von der RPTU in Landau genommen hatten, geht es vielmehr um das richtige Timing als um den durchgehenden direkten Anschluss an des Geschehen. Nimmt man als Journalist bspw. eine große politische Enttäuschung bei einer Fraktion war, reicht oft ein gezielter Anruf, um ausführliche Hintergrundinformationen zu bekommen. Insgesamt stellt sich Landespolitik sehr viel unaufgeregter und konstruktiver dar, als es im Planspiel der Fall war und dementsprechend ist auch die Berichterstattung im Schnitt sehr viel unaufgeregter. Ein Punkt, den sowohl die Journalist:innen als auch Landtagspräsident Hering betonten. Die zweite Frage, die sich mir stellte, war, ob es häufig vorkommt, dass Landespolitiker:innen versuchen, die Presse für ihre Zwecke zu vereinnahmen bzw. den engen Kontakt suchen, um die mediale Berichterstattung für sich zu nutzen. Die Antwort hierauf war eine Zweiseitige. Einerseits können Journalisten von SZ und FAZ sehr wohl ihren eigenen Fokus setzen und empfinden daher wenig den Zwang, der angestrebten Themensetzung von Politiker:innen zu folgen und sind damit nicht so anfällig dafür, über das sogenannte Stöckchen zu springen. Andererseits existieren gewisse mediale Dynamiken, die – wenn Politiker:innen wissen, wie man diese spielt – sehr wohl genutzt werden können, um Medienvertreter doch noch über das Stöckchen springen zu lassen. Als Paradebeispiel diente Markus Söder, der es immer wieder schafft, Situationen mit Eventcharakter und guten Bildern zu kreieren und somit die mediale Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Auch Journalist:innen von Qualitätsmedien wie SZ und FAZ werden durch die medialen Aufmerksamkeitsdynamiken gewissermaßen verleitet, solchen „Angeboten“ zu folgen; anstatt einer direkten medialen Verarbeitung solcher Events dienen diese jedoch viel eher zum Aufbau eigener Wissensnetzwerke, auf die dann in Übersichtsartikeln, Portraits oder ähnlichen Artikeln zurückgegriffen wird. In diesem letzten Punkt passt mein Rollenverhalten zumindest teilweise. Der Zwang medialer Dynamiken bringt auch „echte Journalist:innen“ in Handlungsdruck, der Umgang mit diesen Dynamiken ist aber ein reflektierter, an aktueller politischer Erkenntnis ausgerichteter Prozess.

 

Literatur

bpb (2016): Funktionen der Medien in einer demokratischen Gesellschaft. Verfügbar: www.bpb.de/themen/medien-journalismus/medienpolitik/189218/funktionen-der-medien-in-einer-demokratischen-gesellschaft-i-und-ii/

Fengler, S.; Vestring, B. (2009): Politikjournalismus. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften

Gleich, U.; Puffer, H. (2019): Soziale und gesellschaftliche Funktionen regionaler Berichterstattung. Mediale Perspektiven.

BZ (2021): „Wir haben in Deutschland eine gesegnete Medienlandschaft“. Verfügbar: www.baden-wuerttemberg.de/de/regierung/ministerpraesident/interviews-reden-und-regierungserklaerungen/interview/pid/wir-haben-in-deutschland-eine-gesegnete-medienlandschaft