Ringvorlesung Sommersemester 2024

Sind wir eine gespaltene Gesellschaft?

Im Spannungsverhältnis zwischen Vielfalt, Polarisierung und Konsens

 

Aus eigenem, alltäglichem Erleben, aus medialer Berichterstattung sowie aus nicht wenigen aktuellen Gesellschaftsanalysen entsteht für viele Menschen die Wahrnehmung, dass in den letzten Jahren Konflikte innerhalb der deutschen Gesellschaft nicht nur zunehmen und sich verschärfen, sondern dass wir auf eine gespaltene Gesellschaft zusteuern bzw. bereits in ihr leben. Bei zahlreichen Themen entzünden sich Frontlinien, an denen sich Bevölkerungsgruppen oft unversöhnlich und gereizt, mit z.T. offener Aggressivität gegenüberstehen. Beschreibungen wie „Kulturkampf“ und „Verlust der gesellschaftlichen Mitte‘ haben Hochkonjunktur.

Die Ringvorlesung des Fachbereichs Kultur- und Sozialwissenschaften adressiert die Eingangsfrage aus den Perspektiven der verschiedenen im Fachbereich vertretenen Disziplinen. Vorwegnehmbar ist, dass sich die Frage in der gestellten Form wohl nicht sinnvoll mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten lässt. Vielmehr zerfällt sie in eine ganze Reihe von Einzelfragen, die in verschiedenen sozialen, kulturellen und politischen Bereichen einer individuellen Betrachtung und Analyse unterzogen werden müssen und werden. Welche Themen sind es, die, oft hoch emotional aufgeladen, Lagerbildungen und Risse auslösen? Sind es Risse an der Oberfläche oder reichen sie in die gesellschaftliche Tiefentektonik? Verschieben sich und zerfallen die bisherigen tektonischen Platten der grundlegenden Gesellschaftsstruktur? Besteht in der Tiefe doch ein weitgehender gesellschaftlicher Konsens, der aber übertönt wird durch laute Frontenrufe? Was und wer befeuert Polarisierungen an der Oberfläche, was betreibt oder verhindert deren Durchbruch in die Tiefe? Sind Polarisierung und der Verlust des gesellschaftlichen Konsenses gleichsam der Preis, den eine Kultur der Vielfalt zu zahlen hat? Und: Welche Herausforderung bergen diese Fragen für die Kultur- und Sozialwissenschaften?