DFG-Projekt: Bourdieus Erben. Zur Rückkehr der Klassenfrage in der französischen Gegenwartsliteratur
Projektbeschreibung
Das Projekt beleuchtet aktuelle gesellschaftspolitische Problemlagen und deren Narrativierung in der französischen Gegenwartsliteratur. Hierzu wird das Korpus der im Zentrum stehenden Texte (ersch. 2003 bis heute) unter Zuhilfenahme sowohl literatursoziologischer als auch narratologischer Methoden untersucht. Die Projektarbeit erfolgt in doppelter Fokussierung: In einem ersten Schritt werden der derzeit zu beobachtende ‚Bourdieu-Boom‘ in den Geisteswissenschaften und die damit einhergehende Rückkehr der Klassenfrage im Horizont aktueller Krisenerscheinungen reflektiert. Zu diesen zählen u. a. Globalisierung und Deindustrialisierung, Elitenbildung und Prekarisierung, soziale Spaltungsprozesse und Migrationsherausforderungen. In einem zweiten Schritt, der zugleich den Hauptteil der Projektarbeit darstellt, wird die intensive Bourdieu-Rezeption in der französischen Gegenwartsliteratur näher untersucht. Hierbei werden drei Gruppen von Texten unterschieden: a) Autosoziobiografien mit direkter Bezugnahme auf Bourdieu (z. B. von Annie Ernaux, Didier Eribon und Édouard Louis), b) Romane, die insbesondere den Strukturwandel in den postindustriellen Randregionen Frankreichs thematisieren (z. B. von Pierre Jourde, Nicolas Mathieu und Aurélie Filippetti) und c) Gesellschaftsromane, die Bourdieus Ausführungen zur sozialen Distinktion der bürgerlichen Eliten in zeitgenössische Narrative einbetten (z. B. von Michel Houellebecq, Virginie Despentes und Leïla Slimani). In allen drei Gruppen werden sowohl die gesellschaftskritischen Diskurse als auch die jeweils distinkten Erzählmodi analysiert, d. h. es geht nicht nur um das „Was“, sondern ebenso um das „Wie“ der Narrativierung. Als Ergänzung zu den Textanalysen wird abschließend Bourdieus Wirken als engagierter Intellektueller vor dem Hintergrund seiner Identität als ‚Klassenflüchtling‘ näher in den Blick genommen, mithin seine intellektuelle Selbstinszenierung. Sein Ideal des interventionistischen „intellectuel collectif“ wirkt insbesondere in den linken Kreisen des heutigen Pariser Literaturbetriebs nach und führt nicht nur zu einer Wiederkehr klassischer "littérature engagée", sondern zu öffentlichen, teils ambivalenten Solidarisierungen mit diversen Protestbewegungen. Hierbei spielen in Ergänzung zum Kernkorpus auch Paratexte in Form von öffentlichen Verlautbarungen sowie Social-Media-Aktivitäten der zu untersuchenden Autor/inne/n eine wichtige Rolle. Ziel des Projektes ist eine systematische und zugleich repräsentative Gesamtdarstellung des aktuellen literarischen Feldes mit Rekurs auf das Werk und Wirken Bourdieus.
Das Literaturportal
https://www.literaturportal-france2000-lit.de/
Neues aus und über Frankreich
Französische Literatur war immer relevant. Jede/r kennt Molière, Flaubert, Sartre und De Beauvoir. Unser Blick richtet sich jedoch vor allem auf die Gegenwart. Wir möchten zeitgenössische Literatur aus dem Nachbarland vorstellen, die seit einigen Jahren auch hierzulande wieder überaus beliebt ist. Finden Sie hier eigene und verlinkte Rezensionen von literarischen Texten, die entweder gerade in Frankreich erschienen sind oder als Übersetzung in Deutschland. Darüber hinaus finden auch Sachbücher und Essays Beachtung, die sich mit aktuellen Fragen, Entwicklungen und Phänomenen beschäftigen.
Französische Literatur und Kultur im persönlichen Fokus
Die Geschichte des Essays geht zurück auf den Franzosen Michel de Montaigne (1533–1592). Er widmete sich in seinen kurzen Texten den großen Fragen der Menschheit: Was ist Freundschaft? Was bringt das Alter? Wie tickt der Mensch? Unser Interesse gilt – vielleicht weniger universalistisch, aber keineswegs minder enthusiastisch – der Literatur- und Kulturszene des Nachbarlandes jenseits des Rheins: den Trends, Debatten und den Akteuren innerhalb des literarischen Feldes. Die Textform des Essays verbindet per definitionem eine geistreiche Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Phänomenen mit einer höchst subjektiven Perspektive und bietet daher eine größere Freiheit als eine streng wissenschaftliche Abhandlung. Diesem Anspruch folgen die hier versammelten Essays.
Neben den Essays werden in dieser Rubrik auch immer wieder Interviews mit Akteuren und Akteurinnen aus dem kulturellen oder akademischen Feld erscheinen, die ihren Bezug zur französischen Literatur gemeinsam mit uns erörtern.
Über uns
Gregor Schuhen (Projektleiter)
Lars Thorben Henk
Lea Sauer
Jan Paul Theis