Cui bono?

 

Die Diskussion über ‚den wahren Mann' ist im medial vermittelten Alltag längst angekommen, häufig eingebettet in den Kontext krisenhafter Zeitkritik. Was aber ist mit ‚dem wahren Mann‘ gemeint? In der Soziologie sind die Masculinity Studies bereits seit mehreren Dekaden ein gesetzter Forschungszweig. Spätestens seit Robert/Raewyn Connells maßgeblicher Studie Masculinities (1995) sowie Pierre Bourdieus La domination masculine (1998) ist ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass der Diskurs über ‚den Mann‘ und ‚die Männlichkeit‘ für theoretisch avancierte Männlichkeitsforschung viel zu kurz greift.

Im selben Maße wie nur wenige Jahre zuvor Judith Butler wirkmächtig die Verabschiedung vom Kollektivsubjekt ‚Frau‘ in den Gender Studies gefordert hatte, führt Connell die programmatische Pluralisierung von Männlichkeit durch. Mit seinem Konzept der „hegemonialen Männlichkeit“ macht er ferner darauf aufmerksam, dass es trotz immer noch vorherrschender patriarchaler Gesellschaftsstrukturen keinen Sinn macht, von einer wie auch immer definierten archetypischen Männlichkeit zu reden, sondern es vonnöten ist, den Fokus vielmehr auf relationale, dynamische und performative Männlichkeitsentwürfe zu richten. Dass die Konstitution von Maskulinität auf Herrschaftsstrukturen, spezifischen Praktiken und symbolischer Gewalt basiert und mithin keine ‚natürlichen‘ Parameter zugrunde liegen, hat Bourdieu mit seinem Habitus-Modell zu zeigen versucht. Auch gilt Männlichkeit in der Theoriebildung als relationale Kategorie, die sich nicht nur in Abgrenzung zu Weiblichkeit konstituiert, sondern auch in Interaktion unter Vertretern desselben Geschlechts. Die Form der Interaktion kann sowohl komplizenhaft als auch kompetitiv sein. 

Die Forschungsstelle für Literatur und Masculinity Studies (LIMAS) versteht sich als Arbeitsort, an dem die Schnittmengen von Literaturwissenschaft und Männlichkeitsforschung untersucht werden. Hierbei steht die von Walter Erhart aufgestellte These im Vordergrund, dass Männlichkeit nicht nur das Produkt eines soziohistorischen Konstruktionsprozesses darstellt, sondern immer auch auf narrativen Strukturen basiert, die je nach Epoche, Genre und Kulturraum stark variieren können. Der Figur des mittelalterlichen Ritters liegen bekanntlich andere narrative Strukturen zugrunde als der des Arbeiters im 19. Jahrhundert; das Männlichkeitsmodell des Dandys verkörpert ein anderes Narrativ als der Höfling des Ancien Regime, etc. Historizität, Relationalität und Narrativität gehören mithin zu den Leitkategorien der interdisziplinären Forschungsarbeit. Im Hinblick auf die längst etablierte feministische Literaturwissenschaft sollen jedoch keine revisionistischen Gegenmodelle konzipiert werden; vielmehr sind die Masculinity Studies als komplementär zu den Women’s Studies zu denken. Die hier skizzierten Leitgedanken sollen nicht nur die Forschungsarbeit von LIMAS kennzeichnen, sondern auch in der Lehre sichtbar gemacht und verankert werden. Hierzu gehören sowohl systematische Grundlagenkurse als auch thematisch zugeschnittene Seminare, in denen literarische Texte auf Basis einschlägiger Theoriebildung aus den Masculinity Studies analysiert werden. Neben Forschung und Lehre gehört natürlich auch die beratende Unterstützung des wissenschaftlichen Nachwuchses zu den Aufgaben von LIMAS.