Landauer Akademiegespräche 2021: Diskursstörung
Me, myself and I? - Partikularinteressen versus gesellschaftlicher Zusammenhalt, 12.3.2021 (digital)
Selten wurde mehr von Verantwortung, Rücksichtnahme und Zusammenhalt geredet als in der Corona-Pandemie. Dass wir zugunsten anderer auf persönliche Freiheiten, soziale Kontakte und Vergnügungen verzichten müssen; dass Alte und Kranke zu schützen sind; dass knappe Impfstoffe gerecht verteilt werden, national, europäisch, global – diese Einsichten werden von vielen geteilt. Zugleich hat die Pandemie aber auch Zweifel an der Tragfähigkeit gesellschaftlicher Solidarität aufkommen lassen.
Die Frage, wie es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt bestellt ist, ist auch schon vor der Pandemie lauter geworden. Das Ministerium für Bildung und Forschung fördert seit 2018 ein ‚Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt‘, an dem über 100 Wissenschaftler*innen aus zehn Bundesländern beteiligt sind. Im Hintergrund steht der Eindruck, dass sich in einer immer individualistischeren und diverser werdenden Gesellschaft Brüche und Risse zeigen, die der Reparatur bedürfen.
Verlieren wir Verbundenheit, wenn wir kulturell, sozial und weltanschaulich immer unterschiedlicher werden? Geht Individualisierung auf Kosten des Gemeinwohls? Redet am Ende jeder und jede nur noch von sich selbst, für sich selbst und mit sich selbst? Dabei ist der gesellschaftliche Zusammenhalt längst keine nationalstaatliche Kategorie mehr. Globale Herausforderungen wie die Klimaerwärmung erfordern längst eine Form von Solidarität in der »Weltrisikogesellschaft« (Ulrich Beck).
Unsere Gäste:
Andrea Lindholz MdB, Vorsitzende des Ausschusses für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestages
Dr. Peter Kohlgraf, Bischof der römisch-katholischen Diözese Mainz
Radikalisierte Gesellschaft?, 3.11.2020 (digital)
Protest ist ein Lebenselixier der Demokratie. Die 68er-Revolution, die Friedensbewegung, die Umweltbewegung und die Frauenbewegung haben Deutschland verändert und weitergebracht. Im Osten hat die friedliche Revolution der liberalen Demokratie überhaupt erst den Weg gebahnt. Insofern brauchen wir Wutbürger und Weltverbesserer. Gegenwärtig scheinen die gesellschaftlichen Spannungen jedoch eine neue Qualität zu gewinnen: Der Umgang wird ruppiger, der Ton verschärft sich. Desinformation, gezielte Beleidigungen, Einschüchterungen, Drohungen bis hin zur politisch motivierten Gewalt werden wieder Teil des politischen Arsenals. Und erstmals seit 1945 formiert sich eine nennenswerte Bewegung, die deutlich rechts von der bürgerlichen Mitte steht.
Parallel dazu erodieren die klassischen christdemokratischen und sozial-demokratischen Milieus. Die Corona-Krise hat die Situation an vielen Stellen noch einmal verschärft, bestehende Konfliktlinien deutlicher zu Tage treten lassen.
Welche Chancen hat der Appell zum gesellschaftlichen Zusammenhalt? Wie steht es um die demokratische Streitkultur, um den friedlichen Interessensausgleich und um die Bereitschaft zum Kompromiss? Welche Auswirkungen hat die Zerrissenheit auf das politische System, auf das Gestalten politisch-gesellschaftlicher Zusammenhänge? Wie können Ge-sellschaften mit dem „Verschwinden von Gewissheiten“ (Lantermann) einen produktiven Umgang finden?
Unsere Gäste:
Dorothee Wüst, des. Präsidentin der Evang. Kirche der Pfalz
Lars Klingbeil MdB, Generalsekretär der SPD
Prof. Dr. Ernst-Dieter Lantermann, Universität Kassel