Aktuell
75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Vortrags- und Diskussionsveranstaltung zum Jubiläum der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
„75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – Menschenrechte in Zeiten von Terror und Gewalt“ (14.12.2023)
Am Donnerstag, 14. Dezember 2023 fand in Kooperation zwischen der Arbeitsstelle Menschenrechtsbildung am Fachbereich für Kultur- und Sozialwissenschaften und dem Schwerpunkt Rhetorik (beide Standort Landau) eine Vortrags- und Diskussionsveranstaltung zum Thema „75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – Menschenrechte in Zeiten von Terror und Gewalt“ statt. Im Mittelpunkt stand hierbei einerseits die Entstehungsgeschichte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) sowie die menschenrechtliche Lage im Deutschland der Gegenwart; andererseits wurde die Kriegssituation im Nahen Osten thematisiert und mit Givat Haviva eine Initiative vorgestellt, die seit Jahrzehnten schon auf ein friedliches Miteinander der Religionen und Kulturen in dieser Weltregion hinwirkt. Im Anschluss an die Vorträge gab es eine Podiumsdiskussion.
In ihren Begrüßungsworten stellten Prof. Dr. Francesca Vidal (Schwerpunkt Rhetorik) und Prof. Dr. Matthias Bahr (Arbeitsstelle Menschenrechtsbildung und Kath. Religionspädagogik) die Notwendigkeit heraus, sich im Angesicht von Terror und Gewalt deutlich im Sinne der Menschenrechte zu positionieren – gerade auch vonseiten der Mitglieder einer Universität. Mit Blick auf die Lage im Nahen Osten machten sie große Unsicherheit innerhalb der Gesellschaft aus, die nicht zuletzt aus zunehmender Unkenntnis – hinsichtlich des Judentums, der deutschen Geschichte und eines erstarkenden Antisemitismus in der Gegenwart – bedingt sei. Dem entgegenzuwirken, war Absicht und Ziel der gemeinsamen Veranstaltung.
Dr. Bettina Reichmann (Kath. Religionspädagogik und Projektgruppe Menschenrechtsbildung) steuerte den ersten Vortrag des Tages bei; unter dem Titel „Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – Entstehung, Kontextualisierung und aktuelle Situation in Deutschland“ führte sie in die Thematik der Veranstaltung ein. Reichmann unterstrich, dass die AEMR „Antwort auf ganz konkrete Unrechtserfahrungen“ nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere mit Blick auf die Shoah, gewesen sei. Die Rechtlosen hatten fortan ein Instrument an der Hand, um gegen Unterdrückung, Ausgrenzung und Willkür vorzugehen. Des Weiteren legte sie dar, wie Elemente der AEMR ihren Niederschlag in Verfassungen einzelner Staaten fanden – auch im Grundgesetz der Bundesrepublik. Mit Blick auf die Gegenwart handelte sie vom jüngst (Anfang Dezember) erschienenen Menschenrechtsbericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte; wenngleich der Bericht den Zeitraum vom Juli 2022 bis Juni 2023 abdeckt, machte Reichmann deutlich, dass es ein Stück weit symptomatisch sei, dass in dem Dokument über das Thema Antisemitismus kein Wort verloren wird.
Im Anschluss an den Einführungsvortrag stellte Torsten Reibold die Bildungsinstitution Givat Haviva vor, deren Repräsentant in Europa er ist. Gegründet 1949, ein Jahr nach dem Staat Israel, und hervorgegangen aus der Kibbuz-Bewegung, engagiert sich Givat Haviva über Bildungsprogramme (schwerpunktmäßig für Kinder und Jugendliche) seit Jahrzehnten für einen arabisch-jüdischen Dialog. Reibold zeichnete zunächst ein innenpolitisches Spannungsfeld in Israel nach, in dem Ethnokratie und Demokratie einander gegenüberstehen: Während vonseiten rechter Politik die Position eingenommen wird, der israelische Staat sei ein ausschließlich jüdischer, so hält Givat Haviva dem – mit demokratischem Ethos – das Modell einer ‚shared society‘ in jüdisch-arabischer Koexistenz entgegen. Nur über die Gewährung umfassender Bürgerrechte und gesellschaftlicher (insbesondere auch sozioökonomischer) Partizipationsmöglichkeiten könne einem wechselseitigen Delegitimieren und Dehumanisieren entgegengewirkt werden. Im zweiten Teil seines Vortrags sprach Reibold von den Mitteln, derer sich Givat Haviva auf dem Weg zu diesem Ziel bedient. Ein Großteil der Arbeit gründet auf der Kontakttheorie: Durch Begegnungen zwischen jungen Menschen jüdischer Herkunft und Glaubens und Araber*innen sollen – und werden(!) – Vorurteile und Ressentiments zwischen jüdischer Mehrheitsgesellschaft und arabischer Minderheit abgebaut. Diese Leitidee findet ihren Niederschlag in einer Vielzahl von Bildungsprogrammen, die vom Kindes- bis zum jungen Erwachsenenalter, von Zweisprachigkeit bis zu bikultureller Erziehung und von Staatsbürgerkunde bis zu Fragen der Integration in den Arbeitsmarkt eine große Bandbreite an Aspekten abdecken. Ganz praktisch soll auf diese Weise über den bloßen Appell zu mehr Gerechtigkeit hinausgegangen werden. Es gelte für die Zukunft ungebrochen, so Reibold abschließend, mittels einer „Arbeit der kleinen Schritte“ die bereits existenten Inseln des Erfolgs zu immer größeren Archipelen auszubauen.
An der anschließenden Podiumsdiskussion nahmen neben Reibold Vertreter*innen aus Universität und Schule teil. Einmütig berichteten die Beteiligten von ihrer Betroffenheit – und auch von einer gewissen Surrealität –, als sie von der Attacke der Terrororganisation Hamas am 7. Oktober dieses Jahres erfuhren. Sowohl Dr. Bernd Engelhart (Anglistik) als auch Torsten Reibold berichteten davon, wie Freunde und Bekannte in Israel den Angriff erlebten. Von der großen Herausforderung für Lehrkräfte, die Schule als einen geschützten Ort für Austausch und Fragen zu Terror und Gewalt zu erhalten, erzählte Suna Suvaydas (Lehrerin für Ethik und Französisch an einem Stuttgarter Gymnasium). Dem pflichtete Wolfgang Urbany (Kath. Religionspädagogik und Lehrer am Trifels Gymnasium in Annweiler) insofern bei, als er von vielfältigen Fragen sprach, die seitens der Schüler*innen im Anschluss an die Terrorattacke der Hamas aufkamen. In Auseinandersetzung mit diesen Fragen stelle sich, so Urbany, den Lehrkräften die Aufgabe, konfrontativen Positionierungen entgegenzuwirken und für eine Dialogfähigkeit der Schüler*innen zu sorgen. Diese Aufgabe kommt gleichermaßen der Universität zu – das machte Marie-Christin Haag (Studentin, student. Hilfskraft und Mitglied in etlichen Fachschaftsvertretungen) deutlich: Insbesondere im Digitalen würden Vorurteile und Diskriminierungen weitergetragen werden und drohten, sich dort dauerhaft zu verfestigen.
Dr. Gregor Walter-Drop, Geschäftsführer der Friedensakademie Rheinland-Pfalz, spannte im Rahmen der Podiumsdiskussion den Bogen zurück zum Vortrag von Torsten Reibold und gab zu bedenken, ob es nicht auch hierzulande ‚mehr Givat Haviva‘ benötige – also den unmittelbaren Austausch zwischen Mehrheitsgesellschaft und diversen Minderheiten. Der Frage aus dem Publikum, ob die Wahrnehmung eines gewissen Verdrusses bei den Menschen angesichts in jüngerer Vergangenheit sich häufender Kriege und Katastrophen von ihm geteilt werde, entgegnete Walter-Drop, dass die Beachtung all jener negativen Ereignisse sich auch positiv auslegen lasse: Sie sei ein Indiz dafür, dass (auch) die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als helles Licht fungiere, vor dem Gewalt und Terror überhaupt erst Sichtbarkeit erlangten – und zwar eben als nicht gewöhnliche und für alltäglich hinzunehmende Sachverhalte.
Text: Manuel Theophil, Bilder: Matthias Bahr u. Manuel Theophil