Historisch betrachtet lässt sich ‚Digitalisierung‘ als die jetzige Stufe des fortwährenden Prozesses der (Re-)Mediatisierung betrachten, bei dem die Umwandlung von Analogem in Digitales sowie die Entstehung und Transformation digitaler Infrastrukturen eine zentrale Rolle spielen. Mediale Umbrüche durch technische oder technologische Neuerungen sind an sich kein neues Phänomen, sondern stellen an Gesellschaften immer schon die Anforderung, sich zu transformieren. Dieser fortwährende Prozess hat starke soziokulturelle Auswirkungen, bei denen die Semiotik sowohl im Verstehensprozess unterstützen als auch im Umgang mit dem Digitalen Lösungen anbieten kann. Das Analoge ist dabei als Gegenstück stets mitgedacht und keineswegs passé, z.B. wenn sich in der Popkultur ein Revival von Polaroid, Schallplatten und Ähnlichem beobachten lässt.

Aus semiotischer Perspektive interessiert bei diesem großen Themenkomplex vor allem, wie das Digitale in den kulturellen Zeichengebrauch einfließt, diesen (mit-)prägt und transformiert; umgekehrt aber auch, wie sich das Analoge dann partiell wieder in Erinnerung ruft. Neben klassischen Kompetenzen wie Lesen und Schreiben ist heute verstärkt von einer Digital Literacy die Rede, bei der es im Kern um die Beherrschung solcher kultureller Praktiken geht, in denen sich Digitales mit Analogem auf vielfältige Weise mischt: Beide durchformen sich wechselseitig. Ist die Rede von KI, so stellt sich schnell die begriffliche Frage, inwieweit hier wirklich von ‚Intelligenz‘ die Rede sein könne. KI-Technologien bringen als Technologien maschinellen Lernens heute u.a. Convolutional Neural Networks (CNN) zum Einsatz und werden in verschiedensten sozialen und kulturellen Kontexten verwendet – etwa im Bildungs- sowie im juristischen und medizinischen Bereich. Dabei werden häufig alltagsprachliche Begriffe (wie beispielsweise ‚Fairness‘) in Algorithmen überführt, wodurch unter der Hand eine Begriffsbildung entstehen kann, die dann in die Alltagswelt zurückwirkt und diese unmerklich – teils verbunden mit einem racial oder gender bias mancher Algorithmen – verändert. Kritisch zu reflektieren wäre etwa auch die Veränderung des Präsenzbegriffs im Zeitalter von Videokonferenzen, die potenziellen Verdauerungen des Momentanen (z.B. durch Handy-Kameras), das ubiquitäre Potenzial der digitalen Speicherung, die ihrerseits zeichenhaft ist bzw. werden kann, die veränderten Bedingungen wissenschaftlicher Analyse (Digital Humanities, digital methods), die Veränderung von Kompetenzerwartungen (Digitalität als Schulfach?). Solche Prozesse zu beschreiben und kritisch zu reflektieren sowie auch die damit zusammenhängende gesellschaftliche Verantwortung zu benennen, ist Aufgabe von Geistes-, Kultur- und Gesellschaftswissenschaften – insbesondere auch Aufgabe der Semiotik: Inwiefern verändern Zeichenprozesse als digitale Semiosen kulturelle Bedeutungen? Was kann die Semiotik mit ihrer grundlegenden Orientierung am Zeichenbegriff zu den aufgeworfenen Fragen bzw. Problemfeldern beitragen?

Bei dem DGS-Kongress „Zeichen.Kulturen.Digitalität“ sind Panels und Vorträge willkommen, die sich aus semiotischer Sicht mit dem skizzierten Spannungsfeld von Digitalem und Analogen in verschiedenen kulturellen Handlungsfeldern auseinandersetzen. Im Speziellen stellen sich z.B. folgende Fragen:

- Welche hier einschlägigen begrifflichen Unterscheidungen sind auch unter den veränderten Bedingungen der Digitalität noch instruktiv, welche müssen reformuliert werden?

- Inwiefern sind heutige Digitalisierungsprozesse mit historischen (Medien-)Umbrüchen vergleichbar, und was sind ihre Spezifika?

- Inwiefern kann die Re-Lektüre von semiotischen Klassikern und ihren begrifflichen Unterscheidungen zur Reflexion von Digitalisierungsdiskursen beitragen?

- Was geschieht, wenn – etwa beim maschinellen Lernen – Begriffe (vermeintlich) aus kulturellen Kontexten herausgelöst werden?

- Wie verhalten sich analoge und digitale Zeichensysteme im Einzelnen zueinander? Welchen Wert behalten bzw. erhalten analoge Medien in digitalen Umgebungen?

- Was lässt sich aus semiotischer Perspektive etwa zu KI-Verfahren der Bilderkennung und -kategorisierung sagen?

- Wie lässt sich das Verhältnis von ästhetischen Phänomenen zum Digitalen konzeptuell fassen und beschreiben?

- Welche Arten von Digital Literacy werden heute eigentlich benötigt, und wie lassen sie sich im Bildungsbereich gezielt fördern?

- Kann sinnvollerweise von ‘Kommunikation’ oder gar ‘sozialer Interaktion’ die Rede sein, wenn Maschinen als ‘Akteure’ beteiligt sind? Welche Rolle spielt hier die (fehlende) Intentionalität? Inwiefern lässt sich etwa im Fall von Chat-Bots oder von algorithmenbasierter Werbung von Agency sprechen?

- Daran anschließend: Kann etwa im Zusammenhang mit „Augmented Reality“, „Smart Wear“ und „Internet der Dinge“ von einer ‚post-humanen Semiose‘ gesprochen werden, und was würde diesen Begriff auszeichnen?

- Inwiefern sind digitale Semiosen mit digital-medialer Operativität verknüpft, d.h. wie müssen Zeichen unter den Bedingungen des Digitalen gehandhabt werden?

Die Informationen auf der Homepage der Tagung werden fortlaufend ergänzt.