Mikro - Die Bedeutung von Mikroszenen für die Lehrkräftebildung
Projektleitung: Prof.in Dr. Barbara Geist
Projektbeginn: seit Sommersemester 2024
Kooperationsschule: Max-Slevogt-Gymnasium Landau
Was ist das Spezifische an einem sprachdidaktischen Seminar im Masterstudium eines Lehramtsstudiums?
Wie gelingt die Verzahnung von
- Theorie und Praxis,
- Theorie und Forschung,
- Fachwissenschaft und Fachdidaktik,
- Lehren und Lernen,
- Vermittlung und Erprobung,
- Entwicklung und Reflexion?
Projektbeschreibung
Das Konzept eines Masterseminars hat seit dem SoSe 2024 den Anspruch, auf diese Fragen zu antworten. Hierzu wurde ein Praxiskontakt zu einer Landauer Schule, dem Max-Slevogt-Gymnasium, aufgebaut und ein Seminarplan mit drei Säulen entwickelt:
- Fachwissenschaftliche und -didaktische Grundlagen und Forschungsstand,
- Planung und Durchführung einer Rechtschreibwerkstatt für eine Kleingruppe an der Kooperationsschule,
- Forschungswerkstatt.
Ein relevanter Lerngegenstand des Deutschunterrichts – auch noch in der Sekundarstufe I – wurde als Schwerpunkt ausgewählt: Die deutsche Rechtschreibung bzw. genauer das deutsche Schriftsystem. Mit den Studierenden werden ausgewählte Themen des deutschen Schriftsystems (z.B. Silbengelenkschreibung oder satzinterne Großschreibung) entdeckt und didaktische Modelle dazu analysiert, um sie anschließend an einem überschaubaren Fall zu erproben und eine Mikroszene der Erprobung rekonstruktiv zu analysieren. Ein ‚überschaubarer Fall‘ ist eine 45-minütige Kleingruppenarbeit mit bis zu vier Schüler:innen, die je ein:e Studierende:r als Rechtschreibwerkstatt gestaltet. Es geht demnach darum, dass Studierende zu einer Regularität des deutschen Schriftsystems drei bis vier kleine Aufgaben gemeinsam entwickeln, die jede:r Studierende in der 45-minütigen Rechtschreibwerkstatt mit den Schüler:innen interaktiv bearbeitet. Das gemeinsame Entdecken dieser Regelmäßigkeit des orthografischen Phänomens durch die Schüler:innen, die struktur- und strategieorientierte Herangehensweise sowie die Interaktion (das Sprechen über Schreibungen) stehen im Mittelpunkt der Rechtschreibwerkstatt. Es geht demnach um Problemlösungs- und nicht um Regelwissen.
Im Seminar liegt der Schwerpunkt passend zur Rechtschreibwerkstatt auf der intensiven Auseinandersetzung mit überschaubaren Szenen aus dem Fachunterricht und es wird an verschiedenen Stellen im Seminar die rekonstruktive Perspektive auf unterrichtliche Szenen eingenommen. Besonders fruchtbar sind kasuistische Formate, „die die intensive Auseinandersetzung mit fachunterrichtlichen Szenen am überschaubaren Fall verlangen, […] insbesondere dann, wenn der Einübung der rekonstruktiven Perspektive Raum gegeben wird.“ (Pieper 2018: S. 8) Die Bedeutung von Mikroszenen zieht sich durch das gesamte Seminar. So werden ausgewählte Szenen aus der Forschung mit den Studierenden analysiert, um ihnen einen Einblick in die Interaktion zwischen Lehrpersonen und Schüler:innen zu Schreibungen des Deutschen zu geben (u.a. Geist 2018 und 2019, Kern 2018, Weinhold et al. 2023), bevor sie selbst in einer Kleingruppe einen interaktiven Lehr-Lernprozess initiieren.
Besonders relevant werden die Mikroszenen in der Forschungswerkstatt, in der die Studierenden ihr Video sichten, eine ca. 1-minütige Szene auswählen, transkribieren, analysieren und im Seminar vorstellen. Dieser Einblick in die eigene Praxis, das sich selbst beim Unterrichten Beobachten können und die Auswahl einer gelungenen Szene aus der Stunde sowie die Anwendung der Forschungsmethode ‚Gesprächsanalyse‘ (den Studierenden bereits aus einem fachwissenschaftlichen Seminar im Bachelor bekannt) am eigenen Unterrichtsvideo sind wichtige Momente für die fachwissenschaftliche, fachdidaktische und empirische Professionalisierung der Studierenden als angehende Lehrpersonen. Mikroszenen können hier in dreifacher Hinsicht verstanden werden: Mikroszenen sind kleine, feine Szenen, die die Studierenden aus der videografierten Rechtschreibwerkstatt auswählen, um sie dann genauer ‚unter die Lupe zu nehmen‘ bzw. das ‚Mikroskop zu legen‘. Die intensive Betrachtung eines Ausschnitts aus der Interaktion mit einer Kleingruppe und die Transkription dieses Ausschnitts bieten, ähnlich wie der Blick durch ein Mikroskop, einen ganz anderen Blick auf das gesprächs- und rechtschreibdidaktische Handeln der Studierenden und der Schüler:innen. Die Audio- (Mikrofon) und Videoaufzeichnungen (Kamera) der Kleingruppeninteraktion bieten den Studierenden die Möglichkeit, anhand der Tonaufzeichnung das Sprechen über Schreibungen und/oder anhand der Videoaufzeichnung (auch) Gestik und Mimik beim Sprechen über Schreibungen zu fokussieren.
Ein weiteres Ziel ist es, Mikroszenen aus den Videos auszuwählen, die zukünftig in anderen Seminaren des Lehramtsstudiums des Faches Deutsch zum Einsatz kommen können. Hierzu wurde eine hochschulinterne Förderung zur Aufbereitung der Videos eingeworben (DigKey, finanziert durch DigiKompASS).
Hat Ihre Schule Interesse Teil des Lehrprojekts zu werden? Aktuell fokussieren wir mit der von Masterstudierenden gestalteten Rechtschreibwerkstatt Schüler:innen der Klasse 5 und 6. Um die Arbeit im Seminar und an der Schule gut verbinden zu können, ist eine räumliche Nähe hilfreich. Landauer Schulen können sich bei Interesse gerne bei der Projektleitung melden.
Literatur
Geist, Barbara; Kupetz, Maxi & Glaser, Karen (2019). Accounting for spelling: On the intricacies of teaching and learning the spelling of ambisyllabic consonants in a German L2 classroom. Classroom Discourse, 10:1, 71-98. https://doi.org/10.1080/19463014.2019.1567361
Geist, Barbara (2018). Wie Kinder in Rechtschreibgesprächen Schreibungen erklären und wie die Lehrperson sie darin unterstützt. In S. Riegler & S. Weinhold (Hrsg.). Rechtschreiben unterrichten. Lehrerforschung in der Orthographiedidaktik. Berlin: Erich Schmidt Verlag, 111-130. (https://www.esv.info/978-3-503-18168-1)
Kern Friederike (2018). Clapping hands with the teacher - What synchronisation reveals about learning./Journal of Pragmatics/, 125: 28-42. https://doi.org/10.1016/j.pragma.2017.12.006
Pieper, Irene (2018). Zumutungen erkennen, Verhältnismäßigkeiten im Blick behalten: Für mehr Balance in einer feldnahen Deutschdidaktik. Didaktik Deutsch, 44, 4-9. https://doi.org/10.25656/01:22564
Weinhold, Swantje; Jagemann, Sarah & Bormann, Franziska (2023). Zur Modellierung und Analyse von Lehr-Lerndialogen über das Schriftsystem. Didaktik Deutsch, 54, 84-107. https://doi.org/10.21248/dideu.665
Auszeichnungen
Im Dezember 2024 wurde das Lehrprojekt mit der Hochschulperle des Stifterverbandes zum Thema "Lehrkräftebildung neu gestalten" ausgezeichnet https://www.stifterverband.org/pressemitteilungen/2024_12_11_hochschulperle_mikroszenen.
Das Seminarkonzept wurde im Oktober 2024 mit dem Lehrpreis für herausragende Lehre in den lehramtsbezogenen Studiengängen des Zentrums für Lehrerbildung in Landau ausgezeichnet. Hierzu hatte die Projektleiterin, Barbara Geist, neben dem Seminarkonzept, die Evaluationen eingereicht. Die Studierenden hatten das Seminar als Gesamtnote mit 1,4 bewertet. Der Bezug zwischen theoretischem Wissen und dessen Anwendung wurde z. B. im Mittel mit 5,8 von max. 6 Punkten bewertet. In der offenen Frage, was den Studierenden besonders gut gefallen hat, wurde die Rechtschreibwerkstatt mit den Schüler:innen mehrfach genannt.